eugvu-eugvvo

II. Geschichtlicher Hintergrund

EuGVü-EuGVVo

Grundsätzlich wirken Gerichtsentscheidungen zunächst nicht über die Grenzen des Urteilsstaates hinaus. Die Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit von Forderungen im Ausland aufgrund einer inländischen Entscheidung, kann sich also nur aus deren Anerkennung durch den anderen Staat ergeben. Aus diesem Grunde werden Anerkennungsübereinkommen zwischen den Staaten geschlossen, um gerichtliche Entscheidungen ohne aufwendige Anerkennungs- und Prüfungsverfahren vollstrecken zu können. Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilrechtsurteile ist dabei von großer Bedeutung und bereits vor dem 2. Weltkrieg existierten bilaterale Verträge zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten der heutigen europäischen Union (so zum Beispiel das “deutsch-italienische Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen” vom 09.03.1936).

Die wichtigsten Schritte hin zur Entstehung der EuGVVO:

a.) Brüsseler Übereinkommen (EuGVÜ):

Am 27.09.1968 wurde von den sechs Gründungsmitgliedern der Europäischen Gemeinschaft das “Europäische Gerichtstands- und Vollstreckungsübereinkommen für Zivil- und Handelssachen” (EuGVÜ) unterzeichnet. Dieses trat am 01.02.1973 in Kraft und galt zunächst zwischen den EG-Mitgleidsstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden. Das Abkommen war zuletzt von folgenden Staaten unterzeichnet: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien.

Der räumliche Anwendungsbereich des EuGVÜ erstreckt sich heutzutage nur noch auf das Verhältnis zu Dänemark. Dieses Abkommen gilt nur zwischen EG/EU-Mitgliedsstaaten und wurde weitgehend durch die EuGVVO mit Wirkung ab dem 01.03.2002 abgelöst.

b.) Luganer Übereinkommen

Zur Ausweitung des EuGVÜ über die EG hinaus wurde 1988 das in großen Teilen mit der EuGVÜ wortgleiche “Luganer Parallelübereinkommen” geschlossen. Das Luganer Übereinkommen steht nicht nur EU-Mitgliedsstaaten offen, sondern ausdrücklich auch Drittstaaten, so dass die Errungenschaften des EuGVÜ auf eine größere Anzahl von Staaten ausdehnt werden konnten. Unterzeichnet wurde dieses Übereinkommen zunächst von den Mitgliedsstaaten der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Heute gilt dieses Übereinkommen zwischen den bereits oben genannten Staaten (siehe II a.)) und Island, Norwegen, der Schweiz und seit dem Jahr 2000 auch Polen.

c.) Haager Übereinkommen:

Auf der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, die seit dem 19. Jahrhundert existiert und seit 1954 regelmäßig alle 4 Jahre stattfindet, wurden ebenfalls wichtige Übereinkommen für das Internationale Zivilprozessrecht geschlossen. Die Konferenz besitzt einen universalen Charakter und zu den mehr als 40 teilnehmenden Staaten gehören die europäischen Staaten, einige osteuropäische Staaten, die wichtigsten Staaten des Common Law sowie einige lateinamerikanische Staaten. Die Abkommen müssen von den einzelnen Staaten jeweils ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Zu den wichtigsten Internationalen Zivilprozessrechtsübereinkommen zählen das Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 01.03.1954, über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965 und über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18.03.1970 (auch Deutschland hat diese ratifiziert).

d.) Weitere Abkommen Deutschlands mit anderen Staaten:

· Bilaterale Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zwischen Deutschland und den Mitgliedsstaaten der europäischen Union, haben ihre Bedeutung weitgehend verloren und wurden durch europäische Übereinkommen und Verordnungen ersetzt (zum Beispiel der deutsch-spanische Vertrag vom 14. November 1983 über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen). Sie finden nur noch eingeschränkt Anwendung.
· Verträge zwischen Deutschland und den EFTA-Staaten, finden nur insoweit Anwendung, wie das Luganer Übereinkommen keine Anwendung findet (zum Beispiel der deutsch-norwegische Vertrag vom 17. Juni 1977 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen).
· Hingegen gelten zu außereuropäischen Staaten auch weiterhin die bilateralen Abkommen (so zum Beispiel der deutsch-tunesische Vertrag vom 19.07.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit; sowie der deutsch-israelische Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 20.07.1977).

e.) EuGVVO:

Im Artikel 61 lit. c EGV des Vertrages von Amsterdam wurde eine neue Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen geschaffen. Auf der Grundlage dieser Gemeinschaftskompetenz konnte der Text des EuGVÜ revidiert werden und als sekundäres Gemeinschaftsrecht in Form einer Verordnung erlassen werden. Das heißt, im Gegensatz zum EuGVÜ, welches als völkerrechtliches Übereinkommen abgeschlossen wurde, ist die EuGVVO unmittelbar anwendbar und verbindlich. Dies bedeutet desweiteren, dass langwierige Ratifikationsverfahren entfallen und statt dessen künftige Abänderungen ohne die Zustimmung sämtlicher EU-Mitgliedsstaaten erfolgen können und sich diese Verordnung automatisch auch auf neue Mitglieder der europäischen Union bezieht. Am 01.03.2002 ist die wichtige und weitreichende EG-Verordnung Nr. 44/2001 des Rates der Europäischen Union vom 22.12.2002 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) in Kraft getreten. Anwendbar ist diese Verordnung auf die grenzüberschreitende Rechtsverfolgung innerhalb der EU in weiten Bereichen des Zivil- und Handelsrechtes, allerdings sind einige Untergebiete wie das Personenstandsrecht, das Insolvenzrecht, Teile des Familienrechtes sowie das Erbrecht ausgenommen (siehe Art. 1 Abs. 2 EuGVVO). Die Verordnung gilt im Verhältnis der EU-Mitgliedsstaaten untereinander mit Ausnahme von Dänemark und im Verhältnis zu einigen Überseegebieten, die politisch zu Europa gehören (überseeische Départements Frankreichs gem. Art. 299 Abs.2 EG, Madeira, Azoren und Kanarische Inseln gem. Art. 299 Abs.2 EG und die Balearen, Gibraltar und Ålandinseln gem. Art. 299 Abs.5 EG).

f.) Weitere EU-Verordnungen und deutsche Gesetze:

§ Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten vom 29.05.2000
§ Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in Mitgliedsstaaten vom 29.05.2000
§ Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in Mitgliedsstaaten (EG-Zustellungsdurchführungsgesetz- ZustDG) vom 09.07.2001
§ Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz-AVAG) vom 19.02.2002

Hinweis: Mit Datum vom 10.012015 ist die neue EU-Verordnung Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Kraft getreten.

©2005 Verfasser: F. Müller, Rechtsanwalt, Abogado, Fachanwalt für Steuerrecht