Wegzugsteuer

Wegzugsteuer und Steuerentstrickung

WegzugsteuerAls Steuerentstrickung wird ein Vorgang bezeichnet, bei dem stille Reserven eines Wirtschaftsguts  im Betriebsvermögen, das der Besteuerung des deutschen Finanzamts entzogen werden soll, aufgedeckt werden.
Dies erfolgt regelmäßig im Rahmen des Wegzugs eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft oder durch Verlagern von Betriebsvermögen ins Ausland.
Da in den meisten Doppelbesteuerungsabkommen, so auch im deutsch-spanischen DBA, das Besteuerungsrecht am Gewinn aus einem Verkauf dem Wohnsitzstaat zusteht, soll in diesen Fällen verhindert werden, dass das Besteuerungsrecht dem Wegzugsland zugunsten des Zuzugslands verloren gehen könnte. Damit es dadurch nicht zum Abschluss oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts kommt, wird eine Veräußerung oder Überlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert fingiert (vgl. § 12 KöStG, 4 Absatz 1 Satz 5, § 4g und § 15 Abs. 1a EinkStG), es kommt zur Wegzugsteuer.

Verlegt eine natürliche Person, die eine in- oder ausländische Beteiligung i.S.d. § 17 EStG hält, also Anteile an einer Kapitalgesellschaft (Aktien, Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Genussscheine oder andere Beteiligungen und Anwartschaften auf solche Beteiligungen) im Privatvermögen hält, ihren Wohnsitz ins Ausland, kommt eine fingierte Abschlussbesteuerung nach § 6 AStG in Betracht. Bei Wegzug eines Betriebs kann es zu einer fingierten Betriebsaufgabe bei Betriebs- und Teilbetriebsverlagerung ins Ausland gem. § 16 Abs. 3a EStG kommen.
Der steuerliche Wegzug juristischer Personen kommt durch Verlegung von Sitz und Ort der Geschäftsleitung oder durch Hinausverschmelzung in Betracht (vgl. §§ 2, 123 Abs. 1 und 2 des Umwandlungsgesetzes oder vergleichbare ausländische Vorgänge sowie des Artikels 17 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 und des Artikels 19 der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003).
Eine Abschlussbesteuerung kann grds. in beiden Fällen nur dann vermieden werden, wenn das deutsche Besteuerungsrecht erhalten bleibt (Grds. der Verhaftung stiller Reserven).

Mit Wirkung ab 1.1. 2022 hat der Bundestag am 21.5.2021 das Gesetz zur Umsetzung der Antisteuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz) beschlossen. Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz (ATADUmsG) sollen Art. 5 (Entstrickungs-, und Wegzugsbesteuerung) sowie Art. 9, 9b (Hybride Gestaltungen) der ATAD („Anti Tax Avoidance Directive“) der EU in ein nationales Gesetz umgesetzt werden und die Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7 und 8 ATAD) reformiert werden.
Die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung hat die Bekämpfung niedrigbesteuerter Einkünfte grenzüberschreitend agierender Unternehmen zum Ziel.
Die Reform der Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung betrifft die Besteuerung stiller Reserven im Fall des Wegzugs oder der Überführung einzelner Wirtschaftsgüter ins Ausland und die Möglichkeit der zeitlichen Streckung der Besteuerung.
Die Verhinderung hybrider Gestaltungen soll die mehrfache oder ungerechtfertigte Berücksichtigung von Betriebsausgaben vermeiden.

Auf Grund der Stundungsregelung des § 6 Abs. 5 AStG besteht die Möglichkeit bei einem Wegzug innerhalb von Europa bis zum 31.12.2021 die festgesetzte Wegzugsteuer zinsfrei und ohne Sicherheitsleistungen stunden lassen zu können.

Wegzugsteuer durch Erbschaft oder Schenkung

Aus dem Umstand, dass § 6 AStG nur Regelungen für Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft trifft, wird zumeist geschlossen, dass die Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen nur solche Gesellschafter trifft und, dass eben auch nur ein physischer Wegzug zum Auslösen der Besteuerung führt. Die Auswirkungen gehen aber erheblich weiter.
Zwar kommt es grds. nur zu einer Besteuerung bei einer Aufgabe des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (§ 6 Abs. 1, S. 1 AStG). Eine Wegzugsteuer kann aber auch ohne einen physischen Wegzug durch eine bloße Vermögensnachfolge ausgelöst werden, wie z.B. durch einen unentgeltlichen Erwerb von Anteilen iSv. § 17 Abs. 1, S. 1 EStG durch Personen, die keiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland unterliegen (§ 6 Abs. 1, S. 2 Nr. 1 AStG). Das heißt, der Tod eines Anteilseigners oder eine Schenkung von Geschäftsanteilen zu Lebzeiten an eine im Ausland steuerlich ansässige Person kann zur Wegzugsteuer führen.

Zweck des § 6 AStG ist die Besteuerung des latenten Vermögenszuwachses, also der Wertsteigerungen einer grds. mindestens 1-prozentigen Beteiligung als fiktivem Veräußerungsvorgang im Rahmen der Einkommensteuer.
Da in den meisten Doppelbesteuerungsabkommen, wie auch im deutsch-spanischen DBA das Besteuerungsrecht am Gewinn aus dem Verkauf von privat gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft dem Wohnsitzstaat zusteht (Art. 13 Abs. 6 DBA Spanien Deutschland), könnte ansonsten im Fall eines Wegzugs das Besteuerungsrecht dem Wegzugsland zugunsten des Zuzugslands verloren gehen.
Die Regelungen des Außensteuergesetzes eröffnen zur Vermeidung dieses Sachverhalts die Möglichkeit die in privat gehaltenen Anteilen verkörperten, gebildeten stillen Reserven von Kapitalgesellschaften an denen der Gesellschafter beteiligt ist, im Zeitpunkt des Wegzugs ins Ausland oder der gleichgestellten Vermögensnachfolge von Steuerausländern anteilig als fiktiven Veräußerungsgewinn zugrunde zu legen und zu besteuern, ohne dass diese Anteile tatsächlich liquide gemacht werden (sog. dry-income).

Ausnahmen vom Grundsatz des Besteuerungsrechts des Wohnsitzstaats können für Immobiliengesellschaften gelten. Gemäß Art. 13 Abs. 2 des  deutsch-spanischen DBA liegt das Besteuerungsrecht von Kapitalanteilen für Gesellschaften mit einem Immobilienvermögen von mind. 50% primär beim Belegenheitsstaat.

Auch ohne Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kann es im Falle des Wegzugs durch die Verlagerung von Vermögen zu einer Besteuerung in Deutschland kommen.

Wegzugsteuer Einzelunternehmen und Personengesellschaften

Zu beachten ist, dass es auch ohne Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Falle des Wegzugs und damit einer Verlagerung des Vermögens zu einer Besteuerung in Deutschland kommen kann.
Während die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG sich auf die Gesellschafterebene bezieht, auf der grds. nur Dividenden und Veräußerungsgewinne besteuert werden, hingegen die Ansässigkeit der Gesellschaft grds. nicht von dem Wegzug ihrer Gesellschafter betroffen ist und mithin dort weiter körperschaftsteuerpflichtig bleibt, liegt bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften keine Trennung in Gesellschafter- und Gesellschaftsebene vor.

Durch Mitnahme einzelner Vermögenswerte ins Ausland oder Umzug des ganzen Unternehmens oder eigenständigen Unternehmensteilen können auch Einzelunternehmer bei Wegzug steuerpflichtig werden. Ebenso können auch Anteile an Personengesellschaften wie der KG, der GmbH & Co. KG oder auch einer GbR betroffen sein. Auch hier soll vermieden werden, dass Deutschland das Besteuerungsrecht an den in den Vermögenswerten liegenden stillen Reserven verliert.

Als stille Reserve wird der Unterschiedsbetrag zwischen dem wirklichen Wert und dem Buchwert eines Gegenstands im Unternehmen bezeichnet. So bspw. eine vor langen Jahren erworbene Immobilie und deren Wertzuwachs. Die Aufdeckung dieser versteckten oder verdeckten Werte wird als Entstrickung bezeichnet.
Stille Reserven können materieller wie auch immaterieller Natur sein. So können stille Reserven in Marken, Patenten, Domains, Kundenstamm u.a. liegen.

Durch die Verlagerung des Vermögenswerts ins Ausland kommt es zu einer Besteuerung zur Aufdeckung der stillen Reserven, welche wie eine fiktive Veräußerung behandelt wird. Für  Einzelunternehmen und Personengesellschaften gilt gemäß § 4 (1) S. 3 EStG:
„Einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke steht der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich.“

Ebenso wie es auf der persönlichen Gesellschafterebene einer Kapitalgesellschaft zur Wegzugsbesteuerung kommen kann, kann es sachlich zu einer Steuerentstrickung kommen, wenn Betriebsvermögen aus Deutschland ins Ausland verlagert wird. In beiden Fällen ist i. H. auf die stillen Reserven grds. eine Entstrickungssteuer zu entrichten.
Während im Rahmen der Wegzugsteuer eine Stundung in Frage kommt, kann bei der Verlagerung von betrieblichem Anlagevermögen auf eine ausländische Betriebsstätte innerhalb der EU durch Schaffung von Ausgleichsposten eine sofortige Steuerentstrickung vermieden werden. Diese Ausgleichsposten sind in den 4 auf das Umzugsjahr folgenden Geschäftsjahren aufzulösen.

Die Verlagerung eines Unternehmens ins Ausland beinhaltet immer eine Entstrickung. In Fällen, in denen ein ganzes Unternehmen verlagert wird, liegt gleichzeitig auch eine Funktionsverlagerung vor.

Argumentiert wird seitens der Steuerpflichtigen in solchen Fällen häufig, dass der Wegzug nur für kurze Zeit erfolge und der Wohnsitz in Deutschland nicht aufgegeben werde, wodurch ein Verbleiben in der deutschen unbeschränkten Steuerpflicht die Wegzugsteuer ausschließe. Insbesondere bei Wegzug in Länder mit denen ein Doppelbesteuerungsabkommen und ein Informationsaustausch besteht, kann diese Argumentation jedoch nicht halten.

Als Lösung wird häufig die Umwandlung der Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft, wie eine GmbH & Co. KG, die Einbringung der Anteile in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft, die Übertragung auf eine Familien-GmbH oder Familienstiftung, etc. empfohlen. Zum einen ist aber der formelle und finanzielle Aufwand zu bedenken, zum anderen muss der Gesellschaftssitz in Deutschland verbleiben, was zumeist durch Wegzug des geschäftsführenden Gesellschafters gerade nicht der Fall ist und es schließlich doch zur Entstrickungsbesteuerung nach  dem Einkommensteuergesetz und zur Fiktion der Entnahme kommt.

Die steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen wurde mit der Unternehmenssteuerreform 2008 gesetzlich eingeführt und mit der Reform des Außensteuergesetzes umgesetzt (§ 1 Abs. 3 S. 9 und 10 AStG).  Der Gesetzgeber reagierte damit auf den Umstand, dass mit der internationalen Öffnung auch KMUs schon mit Direktinvestitionen in ausländische Tochtergesellschaften ins Ausland die Nutzung von Standortvorteilen aufgrund Rohstoffen oder günstigeren Arbeitskräften und Steuervorteilen oder –anreizen suchten und damit Betriebsmittel auf ausländische Tochterunternehmen übertragen wurden, womit Geschäfte aber auch stille Reserven ins Ausland gingen.

Eine Funktionsverlagerung liegt nach § 1 Abs. 2 S. 1 Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlVo) vor, wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen, nahe stehenden Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.
Dabei kann schon die Verlagerung einer eigenständigen Funktion ausreichen. Eine Funktion in diesem Sinne ist eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.
Eine Funktionsverlagerung stellt somit die Verlagerung betrieblicher Funktionen zu ausländischen Tochterunternehmen oder Betriebsstätten dar. Verlagerte Funktionen im Sinne des Außensteuergesetzes sind einer Gesamtbewertung zu unterziehen, so dass das ihnen innewohnende gesamte Gewinnpotenzial in Deutschland besteuert werden kann.

Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte lediglich eine Bewertung von übertragenen Wirtschaftsgütern. Nunmehr war es möglich das Gewinnpotenzial aus einer übertragenen Funktion, wie Einkauf oder Vertrieb zu bewerten.

Dabei erfolgte im Rahmen des Amthilfe-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes mittelbar eine Ausweitung des Anwendungsbereichs, indem die Regelung des § 1 AStG von “Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Kapitalgesellschaften” allgemein auf Personengesellschaften und Betriebsstätten ausgedehnt wurde.

Die Auffassung der Finanzverwaltung ergibt sich aus den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung (vgl. BMF, Schreiben v. 13.10.2010, IV B 5 – S-1341/08/10003, BStBl 2010 I S. 774).

Es soll insbesondere vermieden werden, dass stille Reserven in werthaltigen immateriellen Wirtschaftsgütern die mit hohem Kostenaufwand in Deutschland vom Unternehmen selbst erschaffen wurden und als solche oder durch nicht geschütztes Know-how nach § 5 Abs. 2 EStG nicht bilanziell ausgewiesen werden, bei Funktionsverlagerung der deutschen Besteuerung bei Verwertung im Ausland entzogen werden. Mit den neuen Regelungen der Funktionsverlagerung und daraus folgenden erheblichen Steuerbelastungen sollten ausländische Steuerstandorte unattraktiv gemacht und der Wegzug bzw. Verlagerung vermieden werden.

EuGH-Rechtsprechung zur Wegzugsbesteuerung

Das EuGH-Urteil „Hughes de Lasteyrie du Saillant“ zwingt die nationalen Gesetzgeber dazu, das System der Wegzugsteuer und der Sicherung der im Wegzugsland gebildeten stillen Reserven an das Europarecht anzupassen. Ansonsten bestünde das Risiko einer künftigen Kassation und die Verpflichtung zur Rückzahlung erhobener Wegzugsteuer.

Bei den Bestimmungen der §§ 11, 12 KStG, § 6 AStG oder § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG handelt es sich um sogenannte „Ersatzrealisationstatbestände“ die ausschließlich an den (Wohn-) Sitzwechsel des Steuersubjektes für die Steuerpflicht anknüpfen. Geregelt werden gerade keine steuerlichen Missbrauchstatbestände, woraus unmittelbar ebenso eine Europarechtswidrigkeit wegen Verstoß gegen die Grundfreiheiten gemäß Art. 43, 48 EGV folgt, wie für die Fiktion der Betriebsaufgabe bei Betriebsverlagerung ins (europäische) Ausland. Die Niederlassungsfreiheit garantiert eine steuerneutrale Sitzverlegung oder Verlegung des Verwaltungssitzes und Wegzugsbeschränkungen sind damit nicht zu vereinbaren.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Besteuerung von stillen Reserven in jedem Fall gegen EU-Recht verstoßen würde. Denn die Nationalstaaten sind nicht daran gehindert, grds. stille Reserven in ihrem Hoheitsgebiet zu besteuern. Dem EuGH-Urteil „Hughes de Lasteyrie du Saillant“ ist nicht zu
entnehmen, dass die EU-Staaten in jedem Falle daran gehindert seien, die auf ihrem Staatsgebiet gebildeten stillen Reserven zu besteuern, solange und soweit sie dabei den europarechtlichen Rahmen berücksichtigen.

Aufgrund dieser und anderer EuGH-Rechtsprechung hat die EU diese Rechtslage durch Änderung der steuerlichen Fusionsrichtlinie und der Verabschiedung der Sitzverlegungsrichtlinie zwztl. angepasst.

Am 01.01.2020 ist nun die Mobilitätsrichtlinie (RL (EU) 2019/2121 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (MobilitätsRL) in Kraft getreten. Sie ist Teil des sogenannten „Company Law Package“ aus 2018. Zuvor war in 2019 die Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (DigitalisierungsRL) in Kraft getreten.

Ihre Grundlage hatte die Richtlinie im Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance aus dem Jahr 2012, mit dem die Europäische Kommission Initiativen zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung, eine Verbesserung des Mechanismus für grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie die Genehmigung grenzüberschreitender Spaltungen anstrebte. Nach Vorlage des ersten Entwurfs in 2018 wurde schon im Folgejahr die finale Entwurfsfassung eines einheitlichen Rechtsrahmens für nahezu alle nationalen und grenzüberschreitenden Umwandlungsformen (Formwechsel, Spaltung und Verschmelzung) verabschiedet.

Im Jahr 2012 hatte der EuGH im „VALE“- Urteil entschieden, dass die EU-Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV und 54 AEUV) der nationalen italienischen Regelung, die zwar für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung gestattete, aber die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft in eine inländische Gesellschaft mittels Gründung der letztgenannten Gesellschaft generell nicht zulässt (sog. Herein-Formwechsel), entgegensteht.
5 Jahre danach, im Jahr 2017, wurde dann im „Polbud“ –Urteil der umgekehrte Fall des Heraus-Formwechsels entschieden. Danach verstößt auch eine nationale Regelung, die einen grenzüberschreitenden Formwechsel durch Verlegung des Satzungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat davon abhängig macht, dass die Gesellschaft (im Herkunftsstaat) aufgelöst wird, gegen die EU-Niederlassungsfreiheit.

Die MobilitätsRL regelt ebenso die grenzüberschreitende Spaltung (Art. 160a bis Art. 160u der GesellschaftsrechtsRL), wie auch grenzüberschreitende Verschmelzungen (Art. 118 bis Art. 134 der GesellschaftsrechtsRL). Dabei unterliegt die im Zuge der Umwandlung neu entstehende Gesellschaft (Spaltung) und die aus einer Umwandlung hervorgehende Gesellschaft (Formwechsel und Verschmelzung) dem Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats.

Umsetzung im Jahr 2023

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet die MobilitätsRL (EU) 2019/2121 bis zum 31.01.2023 in nationales Recht umsetzen. Diese gilt allerdings nur für Kapitalgesellschaften, während für Personengesellschaften keine Regelungen getroffen werden und damit nach wie vor lediglich eine Berufung auf die Niederlassungsfreiheit möglich ist. Auch der Forderung, u.a. des Instituts für Wirtschaftsprüfer, zumindest Personenhandelsgesellschaften einzubeziehen, die weder unmittelbar noch mittelbar mindestens eine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter haben, wurde nicht nachgekommen.

Kapitalgesellschaften haben nun die Möglichkeit ihr Gesellschaftsvermögen mittels grenzüberschreitender Spaltung zur Neugründung vollständig oder teilweise auf eine neue Gesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu übertragen. Nicht berücksichtigt wurde die Möglichkeit dieses auf einen im anderen EU-Mitgliedstaat schon bestehenden Rechtsträger zu übertragen.

Der grenzüberschreitende Formwechsel soll grundsätzlich steuerneutral erfolgen, soweit dabei keine nationalen Besteuerungsrechte ausgeschlossen oder beschränkt werden (Entstrickungsbesteuerung).

Vergleich Wegzugsteuer Spanien

Die spanische Wegzugsbesteuerung wurde im Jahre 2014 durch das Gesetz „Ley 26/2014“ eingeführt und in Art. 95 bis Ley de IRPF und Art. 121 ff des Ausführungsgesetzes („Reglamento de IRPF“) als Maßnahme zur Vermeidung von Steuerbetrug durch Verlagerung des Wohnsitzes der Anleger, häufig in Steuerparadiese und mit der Absicht dort geringere Steuern auf die Übertragung ihrer Anteile zu zahlen, entwickelt.

Mit der Wegzugsteuer soll die Vermögenssituation des Steuerpflichtigen kurz vor dem Wohnsitzwechsel gesetzlich geregelt werden, indem die positiven Differenzen zwischen dem Marktwert der Aktien oder Beteiligungen an Unternehmen jeglicher Art, die der oder die Steuerpflichtige besitzt, und ihrem Anschaffungswert, ohne sie veräußert zu haben, als Kapitalgewinn betrachtet werden.

Diese Besteuerung betrifft diejenigen Einkommenssteuerpflichtigen, auf die in vorangehenden Steuerzeiträumen einer der folgenden Umstände zutrifft:

– dass der Marktwert der Aktien oder Beteiligungen am Tag des Anfalls des letzten für diese Steuer zu erklärenden Steuerzeitraums insgesamt 4.000.000 Euro übersteigt bzw.

– dass, im Falle dass dieser zu dem Zeitpunkt nicht mehr als 4.000.000 Euro beträgt, die prozentuale Beteiligung an dem Unternehmen 25 % übersteigt, sofern der Marktwert der Aktien oder Beteiligungen 1.000.000 Euro übersteigt.

Diese Voraussetzungen bezwecken zum einen, dass Ausländer, die ihren Wohnsitz nach Spanien verlegen, bei der Rückkehr in ihr Land keine Wegzugssteuer zahlen müssen. Zum anderen sollen nur vermögende Privatpersonen besteuert werden.

Die Marktbewertung dieser Anteile oder Beteiligungen erfolgt gemäß den Bestimmungen von Artikel 95.bis.3. des EinkStG.

Andererseits sieht Abschnitt 6 dieses Artikels eine Sonderregelung für den Fall vor, dass der Wohnsitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat oder in den Europäischen Wirtschaftsraum verlegt wird, mit dem ein effektiver Austausch von Steuerinformationen besteht, so dass der Veräußerungsgewinn innerhalb der zehn auf das letzte Jahr, in dem diese Steuer erklärt werden muss, folgenden Steuerjahre der Selbstveranlagung unterzogen werden kann, wenn die folgenden Umstände eintreten:

  1. dass die Anteile oder Beteiligungen unter Lebenden übertragen werden.
  2. Der Steuerpflichtige verliert die Eigenschaft als Einwohner eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums.
  3. Dass es zur Nichteinhaltung der Verpflichtung gekommen ist, der Steuerverwaltung die Option für die Anwendung dieser Besonderheiten mitzuteilen (Formular 113).

Fazit Wegzugsteuer

Insbesondere großen Unternehmen und Konzernen wird die zum 1. Januar 2020 in Kraft getretene Mobilitätsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121) grenzüberschreitende Umwandlungspläne erleichtern.
Bedauerlicher Weise hat der EU-Gesetzgeber bislang versäumt, den durch den EG-Vertrag und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorgegebenen Möglichkeiten zur Niederlassungsfreiheit von Unternehmen auch für Personengesellschaften Rechnung zu tragen.

Es bleibt abzuwarten, auf welche Weise die nationalen Regelungen Umsetzungen auch im steuerlichen Bereich bis zum 31.01.2023 vornehmen.

Für in Deutschland Steuerpflichtige gilt bis zum 31.12.2021, dass grds. ein latenter Gewinn zinslos zu stunden ist, allerdings ggf. nach § 6 Abs. 5 S. 4 AStG widerrufen werden kann, sofern

  • Anteile veräußert oder verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt,
  • bzw. an einen nicht in der EU ansässigen, unbeschränkt Steuerpflichtigen übertragen werden,
  • eine Entnahme oder ähnlicher Vorgang verwirklicht wird, der nach inländischem Recht zum Ansatz des Teilwerts oder gemeinen Werts führt
  • wenn der Wohnsitz ins EU-Ausland (Drittland) verlegt wird.

Die fiktive Veräußerung hat unter Beachtung og. Fristen, bei Umzug in EU-Mitgliedsländer jedenfalls, grds. keine wirtschaftlichen Nachteile zur Folge, solange nicht ein Verkauf, Übertragung oder Wegzug in ein Drittland erfolgt.

Die neue Rechtslage durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie ab dem 01.01.22 ändert dies erheblich. Auch bei einem Umzug innerhalb der EU wird nun die Wegzugsteuer grds. unmittelbar fällig und kann nur auf Antrag mit Ratenzahlung über 7 Jahre und Sicherheitsleistung abgezahlt werden. Nur eine Rückkehr nach Deutschland innerhalb von 7 Jahren kann unter bestimmten Voraussetzungen die Steuer mit Rückwirkung entfallen. Im Falle fortbestehender Rückkehrabsicht besteht die Möglichkeit zur Fristverlängerung mit Aussetzung der Ratenzahlung.

©2021 Verfasser Wegzugsteuer: Frank Müller, Rechtsanwalt, Abogado, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht